"Verteile und beherrsche" - oder warum Free-To-Use-Geschäftsmodelle so erfolgreich wurden
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Wer für etwas nichts zahlen muss, "ist" das Produkt. Dieses geflügelte Wort begleitet das Internet seit seinen Anfangstagen. Aber erst in den Jahren nach Platzen der New-Ecomony-Blase und der fortgeschrittenen Professionalisierung des Marktes, wird die Relevanz des weltberühmten Zitats überdeutlich. Facebook und Google machen vor, wie man mit kostenlosen Angeboten ein weltumspannendes Plattformangebot entwickeln kann, ohne die User-Base direkt zu Kasse zu bitten. Dass sie doch "zahlen", ist vielen Nutzern im datenschutz-sensiblen Deutschland inzwischen klar geworden. In anderen Ländern ist die Erkenntnis noch nicht in der breiten Masse angekommen, auch wenn das Thema immer häufiger auf der Agenda landet. Der eintretende "Handel" muss dem informierten Internetnutzer weltweit aber heute klar sein.
Deshalb ist Transparenz notwendig:
Der Nutzer erhält Zugriff auf ein enorm großes Softwareangebot mit perfekt durchentwickelten Such- oder Email-Angeboten (Google) und kann sich mit der ganzen Welt auf einer Social-Plattform austauschen oder mit Bild/Text-Messengern mit ihrer Community kommunizieren (Facebook/Instagram/Whatsapp).
Dass für die Entwicklung und den Betrieb der Software-Plattformen Millionen aufgewendet werden und dass die Marketingspendings teilweise enorm hoch sind, bekommt der Nutzer nicht mit. Er sollte aber wissen, inwieweit er Teil eines nachgelagerten Monetarisierungsmodells ist, in dem er mit seinem Verhalten und Interessen einen ziemlich dezidierten Wert für die Investoren der Plattformen mit sich bringt.
Ein Beispiel: Bei dem Whatsapp-Facebook-Deal wurde eine Zahl kolportiert: Der Käuferpartei (also Facebook und seinen Geldgebern) war jeder Nutzer des jungen Messaging-Dienstes Whatsapp 42 US-Dollar wert.
Wie kommt dieser Wert überhaupt zustande? Wenn ich als Nutzer täglich mit Whatsapp kommuniziere, sehe ich keine Werbung. Von einem Bezahldienst kann de-facto auch keine Rede sein. Ich zahle in den einschlägigen App Stores maximal einen Dollar bzw. Euro pro Jahr. Der Whatsapp-Deal hat in 2014 zum ersten Mal außerhalb einer informierten Community von Technologie- und Medienleuten die Frage aufgeworfen, wie die Wertschöpfung denn überhaupt zustande kommt.
Wie kam es zu dem breiten Angebot von Free-to-Use-Produkten? Das ist einfach, zu beantworten. Denn das Zusammenspiel von zwei Effekten wirkte wie ein Hyperschall-Antrieb für die Entwicklung: die eklatante Erfolglosigkeit von Bezahlstandards im Netz und die Investitions-Logik der großen Venture Capital-Geber:
1. Bezahlen im Netz genießt nach wie vor wenig Vertrauen
Es gibt zwei große Finanzierungsmodelle im Netz: Bezahlte Dienste oder die Einbindung von Werbung. Bezahlte Dienste sind im Konsumentenmarkt in der Minderheit. Der Grund ist die nach wie vor große (und wohlbegründete) Skepsis der Nutzer bezüglich der Sicherheit ... und der bis jetzt ungeklärten Standards. Apple hat in den letzten Jahres fast alles richtig gemacht und die Mobile Economy und ihre Identifikations-Methoden in eine vernünftige Richtung entwickelt (Touch ID, iCloud Keychain). Aber ob sie mit "Apple Pay" in der Lage sind, den Marktstandard für unkompliziertes und sicheres Bezahlen zu setzen, muss noch abgewartet werden. Letztlich hat Apple - neben der Android-Dominanz - nur einen kleinen Betriebssystem-Marktanteil und durch die Kreditkarten-basierten Bank-Profile nicht den notwendigen "Log-In" in jedem Markt (in Deutschland ist die Kreditkarte beispielsweise nicht mal ansatzweise so gut etabliert wie in den Vereinigten Staaten). Das hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass bezahlte Dienste hauptsächlich in der digitalen B2B-Welt verblieben sind und sich der Mainstream gegenüber Bezahlangeboten skeptisch gegeben hat. Umso mehr hat die Nutzermasse alle Angebote bereitwillig angenommen, die kostenlose Dienste versprochen haben. Um diese zu refinanzieren, mussten Publisher auf das andere Modell setzen: Werbung.
2. Investoren lieben "Economies of Scale"
Die Vereinigten Staaten haben enormen Einfluss auf die die Investitionskultur in der Software- und Technologie-Szene. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie mit Abstand die meiste Erfahrung haben. Bereits in den Siebzigern fingen Venture Capital Firmen wie Kleiner, Perkins, Caufield & Byers (KPCB) oder Sequoia Capital an, ihr Geld in Technologieunternehmen zu investieren. Dieser Erfahrungsschatz in Verbund mit der amerikanischen Risikobereitschaft hat eine selbstbewusste und spekulationserprobte Szene wachsen lassen, von der sich international viele Kapitalgeber entsprechende Methodiken abschauen. Die Wichtigste davon: setze auf Wachstum - achte nicht auf das Ergebnis... zunächst zumindest. Wachstum ist am besten mit Geschäftsmodellern erzielbar, die auf einen offenen Zugang zu Plattform, Produkt oder Service ermöglichen. Und das sind in der Regel nicht die bezahlten Dienste, sondern die Werbefinanzierten.
Targeting ist das neue Gold
Das Schlagwort ist also Werbung - Targeting, um genau zu sein. Facebook und Whatsapp sind ideale Plattformen, um Nutzer zu markieren und in Folge mit personalisierter Werbung zu bespielen. Mit jeder Session überlässt der Nutzer Facebook weitere Präferenzdaten oder Surfverhalten. Seit Jahren experimentiert Facebook mit verschiedenen Geschäftsmodellen, wie sie ihren unbeschreiblich großen Datenschatz monetarisieren können. Nicht jede Datenbank ist automatisch verkäuflich. Sinnvolle Taxonomien sind eine komplexe Herausforderung. Und regionale Datenschutzgesetze sind ebenfalls schwierig für ein international tätiges Unternehmen. Aber die großen Plattformer-Perfomer werden immer besser und sie schaffen es seit geraumer Zeit, ein altes Problem zu durchbrechen: in "Digitalien" ist Werbung ein vergleichsweise margenschwaches Geschäft. Es sei denn man besitzt einen unfairen Vorteil im Sinne historisch etablierter Marken (z.B. Media Brands wie New York Times, oder BILD) und verzeichnet damit verwertbare Reichweite mit ausreichend vielen Profilen.
Wer diese Marken nicht besaß, tendierte bereits Mitte der 2000er Jahre dazu, über Plattformen nachzudenken, die das perfekte Targeting ermöglichen. Technisch waren die kleinen Companies aus dem Silicon Valley hochgradig potent. Aber ihnen fehlten Geld und Nutzer. Beides ist im gleichen Zuge zu bekommen, wenn man Investoren die richtige Story erzählt. Und somit gingen sie los und bauten kostenfreie Plattformangebote, die mit ihrer Feature-Breite überzeugten. Die große Vision: den Nutzer verstehen - den Nutzer zum "Produkt" machen und somit das Core Asset Value erhöhen. Die Rede ist hier nicht von der Angabe sozio-demografischer Daten oder dem Wohnsitz. Nein, die Rede war und ist von Bewegungsdaten, Korrespondenzen, Emotionen. Also Daten, die in der bereits perfekt vermessenen Welt der Vermarktung einen noch viel genaueren Blick auf den Nutzer zulässt.
Und dieser Wert, den ein Nutzer liefert, ist am Ende um einiges höher, als es ein Abomodell oder ein Einmal-Zahlen, durch einen Nutzer bei einem Online-Dienst generiert, jemals sein könnte. Die bereits heute gesammelten Daten über die eigenen Nutzer machen aus den beiden großen amerikanischen Plattormern eine schwer umgehbare Werbeinfrastruktur der digitalen Welt.